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Wissenschaftskommunikation per Podcast

Normalerweise ist das öffentliche Kolloquium am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie eine Vortragsreihe. Jedes Semester werden zu einem anderen Schwerpunktthema Gastbeitragende anderer Institute und auch anderer Disziplinen nach Freiburg eingeladen. Zu diesen Abendveranstaltungen gehören typischerweise eine angeregte Fragerunde und ein offener Ausklang, nicht selten auf der Terrasse des Instituts in der Wiehre. All das fehlt im Digitalen – insbesondere die direkten Gespräche und der informelle Austausch.

Neue Vernetzungsmöglichkeiten

Als wir Doktorand:innen – darunter die Kollegsmitglieder Ruth Weiand, Gisela Zimmermann und Uwe Baumann – die Konzeption dieser Veranstaltung für das laufende Sommersemester übernehmen sollten, hatten wir bereits ein Dreivierteljahr Pandemie hinter uns – und damit einhergehend Erfahrungswissen über Online-Lehre und Diskussionskulturen auf Videoportalen mit ihren Vor- und Nachteilen.

Positiv an der Verlagerung öffentlicher Veranstaltungen auf Plattformen, wie Zoom, ist die neue Öffentlichkeit, die damit generiert wird. So können interessante Tagungen, Ringvorlesungen und Kolloquien quasi zwischendurch besucht werden und sind nicht mehr mit Reisekostenanträgen, Terminkollisionen und längeren Entscheidungsprozessen verbunden: Gemeinsam Arjun Appadurai live in Berlin hören, während man sein Mittagessen in München, Zürich und Freiburg genießt – keine Utopie mehr.

Schattenseiten digitaler Räume

Doch neben diesernpositiven Effekte des schnellen Wissenstransfers, kann die Kommunikation mit den Beitragenden nicht in dem Maß eingelöst werden, wie in Offline-Kontexten. Es fehlt die Resonanz des direkten Austauschs und des gemeinsamen Moments, wie der Soziologe Hartmut Rosa es ausdrücken würde. Stattdessen werden die Redelisten schleppend gefüllt. Zu groß ist oft die Hemmschwelle, schnell zu interagieren, auch unausgereifte Gedanken einzubringen, sich zu präsentieren. Denn anders, als aus dem Publikum in einem Hörsaal, als eine:r unter vielen zu agieren, stellt man sich auf Videoplattformen gewissermaßen selbst ans Pult. Man redet und weiß sich von allen Augen gesehen auf der großen Videokachel. Man aktiviert das Mikro und weiß, dass nun möglichst knapp ein ausgereifter Beitrag kommen soll, fast so, als würde man „Aufnehmen“ drücken. Manche schreiben daher lieber Fragen in den Chat, als sich zu melden, oder verharren komplett in der Zuhörerposition und lassen sich berieseln. Zudem schlägt sich die lange Bildschirmzeit, gepaart mit schlechter Wiedergabequalität, Ruckeln und Rauschen auf den Körper nieder: Die Augen brennen, die Ohren rauschen, Kopf- und Rückenschmerzen stellen sich durch die angespannte Haltung beim ständigen gefilmt-werden ein. Das Medium suggeriert konstante Beobachtung und transferiert damit das Foucault’sche Panoptikon in die eigenen vier Wände, die vor der Pandemie einmal Orte des Alltags und des Rückzugs sein sollten.

Fluchtpunkt Podcast-Hören

Die Pandemie führte aber nicht nur zur Veralltäglichung des Zoom-Vortrags, sondern  auch zum Erstarken des Podcasts – im Alltag, wie in der Wissenschaft findet das Zuhör-Medium immer mehr Anklang und seine Vorzüge werden evident: Entspannung vom Online-Sein. Zuhörend kann ich mich zurücklehnen, muss nicht performativ agieren, kann Joggen gehen oder mein Bad putzen. Und auch die Gespräche selbst bekommen eine andere Dynamik, denn sie werden nicht vor Publikum aufgeführt.

Schnell ist die Aufnahme vergessen, das Gespräch wird offener, ad-hoc Fragen tun sich auf und trotz Interviewleitfaden stellen sich schnell ero-epische Elemente der Gesprächsführung ein und mitunter sogar Situationskomik. Durch das gesprochene Wort werden Inhalte zugänglicher – auch außerhalb der Fachwelt.

„Plaudern“ organisieren

In Reaktionen auf erste Podcasts der Corona-Zeit wurde letzteres nicht nur als Chance für eine Science-to-public-Wissenschaftskommunikation begriffen, sondern oftmals kulturpessimistisch mit Ängsten vor einer „Verplauderung der Wissenschaft“ assoziiert. Denn gerade die Schärfung von Begriffen ist wichtiger Teil der wissenschaftlichen Arbeit und lässt sich in einem minutiös vorbereiteten und abgelesenen Vortragsskript leichter umsetzen.

Dennoch entschlossen wir uns für das Podcast- Format aus den folgenden Gründen:

  • Direkter Austausch mit Wissenschaftler:innen, die für unsere Felder relevant sind, wird uns ermöglicht.
  • Wir suggerieren direkte Teilhabe an diesen Gesprächen.
  • Hörende können ihre zeitlichen Ressourcen selbst einteilen und haben weniger Bildschirmzeit
  • Rückfragen können in Ruhe per E-Mail oder in Diskussionsrunden an das Redaktionsteam gestellt werden

Im thematischen Rahmen legten wir einen Schwerpunkt, der sich in all unsere Dissertationen wiederfinden lässt und der aktuell viele Forschungsvorhaben begleitet: Erhebungen in Online & Offline-Kontexten, die sich mit praxeologischer Perspektive dem Forschungsfeld „Emotionen“ annähern. Im Ausschreibungstext der Veranstaltung klingt dies folgendermaßen:

 

Im digitalisierten Alltag kann sich Kulturanalyse den technischen Erweiterungen der Interaktion in virtuellen Welten kaum mehr entziehen. Was in sozialen Räumen verhandelt wird, geschieht zunehmend in Wechselwirkungen zwischen Online und Offline und formt so Vorstellungs- und Lebenswelten mit. Die Pandemiesituation hat der Auseinandersetzung mit digitaler Ethnographie notgedrungen einen Aufschwung beschert Forschungsprojekte müssen vermehrt in den digitalen Raum verlagert werden.  

Gerade Emotionspraktiken lassen sich besonders fruchtbar an der Schnittstelle von Online und Offline untersuchen. Diese können in der Zirkulation von digitalen Inhalten zu Ressourcen der Selbstrepräsentation werden. Medien und deren Affordanzen haben hierbei hohen Einfluss darauf, was gepostet und geteilt wird. Empirisch stellt uns das als Kulturwissenschaftler:innen vor methodische Herausforderungen.

Anhand der Schlagworte Medialität und Emotionalität lassen wir uns dieses Semester von unseren Gästen inspirieren, wie empirische Forschung im Netz umgesetzt werden kann. Wir machen uns auf eine Spurensuche wie kulturwissenschaftliche Forschung selbstbewusst einer vernetzten, globalisierten Welt gegenübertreten kann.

 

Im Folgenden loteten wir Schwerpunkte aus, die sich in allen Gesprächsleitfäden der Podcastfolgen wiederfinden lassen, definierten wiederkehrende Elemente, wie „Quick Questions“, hörten vergleichbare Podcasts, schauten Video-Tutorials über Aufnahme- und Schnitttechniken, informierten uns über Musikrechte und Streaming-Dienste, definierten Redaktionsplan und Arbeitsaufträge über Organisationsapps und geteilte Dokumente.

Zwischenfazit des Experiments „Kolloquium für die Ohren“

Im Rückblick zeigt sich, dass hinter der unkompliziert erscheinenden „Podcast-Verplauderung“ viel Arbeit steht. Sowohl konzeptionell, als auch im Schnitt, denn zu jeder etwa 40-minütigen Folge lag mindestens die doppelte Länge Rohmaterial vor. Es zeigt sich aber auch, dass mit Free-Ware-Software und geringem Vorwissen bereits viel geschaffen werden kann

Das Ergebnis ist ein Wissenschafts-Podcast von dem wir selbst und andere profitieren und in dem jede Folge einen eigenen Charakter entwickelt hat.

Aus der Arbeit an unserem ersten Wissenschaftspodcast nehmen wir mit, dass das Ausprobieren neuer Formate nicht nur uns Produzierende bereichte, sondern auch die Inhalte in eine anderes Licht rückte. Statt steifen Vorträgen zu lauschen, werden komplexe wissenschaftliche Sachverhalte in einem Gespräch zugänglicher, verlieren aber keinesfalls an Tiefe, gewinnen vielmehr an Zugänglichkeit.

 

Das „Institutskolloquium für die Ohren“ kann auf der Homepage des Instituts für Kulturanthropologie und Europäischer Ethnologie  nachgehört werden. Bis Juli erscheinen neue Folgen in einem zweiwöchigen Turnus, anschließend folgt eine öffentliche Diskussionsrunde.

Hier geht es zu den Folgen